Die Entscheidung für eine externe Promotion ist eine sehr persönliche. Und an ganz unterschiedliche Motive und Überlegungen gebunden. Das hier ist meine Geschichte.
Ich jedenfalls wollte nicht (extern) promovieren. Schon deshalb nicht, weil ich fürchterlichen Bammel vor der zu absolvierenden Disputation hatte.
(Studieren wollte ich übrigens auch nicht. Die Geschichte dazu liest du in Über mich.)
Und so hatte eine Promotion keinen Platz in meinen (beruflichen) Überlegungen. Ich wollte in die Entwicklungszusammenarbeit. Projekte im Ausland durchführen, reisen, Menschen helfen, etwas Gutes tun – das war mein berufliches Ziel.
Also konzentrierte ich mich während meines Studiums der Humangeographie, Soziologie und Spanisch an der Ruhr-Universität Bochum auf Projektmanagement und Bildungsprojekte.
Mein Praktikum absolvierte ich 2003 in der Dominikanischen Republik, wo ich im Auftrag einer kleinen lokalen Umweltorganisation Kinder eines Pfadfinderprojekts über "Erde & Wasser" unterrichtete.
Es war eine sehr herausfordernde Zeit, aber auch sehr lehrreich. Jedenfalls war mein Wille zum Einstieg in die Entwicklungszusammenarbeit ungebrochen.
Der wollte aber zum Studienende in 2005 nicht recht gelingen und so arbeitete ich erst mal weiter in der Büroorganisation einer IT-Firma, die ich schon länger als studentische Hilfskraft unterstützte.
Ich erinnere mich wie gestern, als an einem normalen Bürotag mein Telefon klingelte und mein bester Freund und Studienkollege Thorsten aus Sri Lanka anrief.
Den hatte nämlich der Tsunami an Weihnachten 2004 nicht losgelassen, sodass er sich direkt nach dem Studium als ASA-Stipendiat für ein Tsunami-Hilfsprojekt in Sri Lanka bewarb. Dort stieß er mit seinen Kollegen schnell auf das Problem von Verschwörungstheorien und Gerüchteverbreitung über einen drohenden neuen Tsunami.
Als Geograf wurde er von den anderen motiviert, die Menschen über die Ursache und Entstehung von Tsunamis aufzuklären. Gesagt, getan. Mit selbstgemalten Plakaten und einem sehr anschaulichen Vortrag stießen sie umgehend auf offene Ohren und Arme.
Die Idee einer professionelleren Umsetzung in Ausstattung und Durchführung inklusive der Akquise von Fördermöglichkeiten wurde lauter – und da kam ich ins Spiel.
„Wir brauchen eine zweite Geografin. Willst du dabei sein?“.
Nach kurzer Überlegung sagte ich zu. Und so konzipierten wir das Tsunami Education Project (TEP) weiter aus, warben Fördergelder über HELP – Hilfe zur Selbsthilfe e. V. ein und bereiteten uns auf die Durchführung vor.
Zu dem Zeitpunkt waren wir meilenweit von einer Promotion entfernt.
Alleine wären wir auch nie auf die Idee gekommen. Die Idee wurde von außen an uns herangetragen. Und zwar von unserem Lieblingsprofessor. Ihm erzählten wir kurz vor Abflug nach Sri Lanka im März 2006 von unserem TEP.
Seine Reaktion: „Das müsst ihr wissenschaftlich aufarbeiten, das ist brandaktuell. Ich kann euch zwar keine Stelle anbieten, aber ihr könnt bei mir extern promovieren und eine Teamdissertation schreiben."
Unsere Reaktion: "Danke. Aber warten wir mal ab, ob das Projekt läuft."
Es lief.
Aber erst, nachdem uns der wieder aufflammende Bürgerkrieg im Nordosten des Landes, wo das TEP angesiedelt war, einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Gott sei Dank waren nicht nur wir, sondern auch HELP e. V. komplett von dem Projektnutzen überzeugt, sodass wir gemeinsam eine Lösung fanden. Das TEP würde räumlich kurzerhand an die Südwestküste verlegt, bevor wir Monate später wieder in den Osten umsiedelten.
Wir haben das TEP schließlich unter großen Anstrengungen, skurrilsten Bedingungen, in Gefahr und immer mit einem lachenden und weinenden Auge durchgeführt.
Und mittendrin wurde uns klar, dass wir bereits jede Menge Datenmaterial gesammelt hatten und noch sammeln könnten. Nie wieder wäre die empirische Grundlage so einfach zu bekommen.
"Lass uns zusammen die Doktorarbeit schreiben. Wir wären blöd, wenn wir es nicht machen." So ähnlich sagte es Thorsten eines Abends. Und damit war der Entschluss klar.
Telefonisch versicherten wir uns noch mal der Zusage unseres Lieblingsprofessors, besprachen kurz das weitere Vorgehen und arbeiteten ein Exposé für die Antragstellung aus (sein O-Ton ein paar Tage später: „Das ist das beste Exposé, das ich seit Langem gelesen habe.“).
Besonders fordernd: ein passendes Thema für die Doktorarbeit zu finden, welches das bereits in der Umsetzung befindliche Projekt als empirischen Teil einschloss. In der Regel ist es genau andersrum - erst das Thema, dann die Empirie.
Und so wurde aus dem TEP ein praktisches Beispiel für die Wichtigkeit von geografischer Bildungsarbeit in der Katastrophenvorsorge.
Zurück in Deutschland stellte sich für mich die Frage, wie ich mir meine externe Promotion finanzieren sollte?
In die IT-Firma wollte ich nicht mehr zurück. Interessante Vollzeitstellen fand ich irgendwie nicht (und hatte auch echt keinen Kopf für den ganzen Bewerbungsprozess). Für ein Stipendium kam ich nicht infrage.
Kurz (wirklich ganz kurz) überlegte ich, ob es nicht besser wäre, die externe Promotion ohne finanzielle Rückendeckung an den Nagel zu hängen.
Aber erstens war inzwischen der Wunsch sehr groß, unser eigenes und absolutes Herzblutprojekt wissenschaftlich aufzuarbeiten und zweitens wollte ich Thorsten nicht hängen lassen.
Wie der Zufall es wollte, bekam ich dann recht schnell eine Teilzeitstelle im Studierendenservice der Ruhr-Universität Bochum. Leider reichte die nicht aus, um meine Lebenskosten zu decken. Ein weiterer Zufall in Form einer ehemaligen Schulkollegin verschaffte mir kurze Zeit später eine weitere Teilzeitstelle in einem Auftragsforschungsinstitut.
Super! Jetzt hatte ich Geld!
Aber kaum mehr Zeit.
Letztendlich kamen mir meine sehr gute Planungsfähigkeit und die gemeinsame Arbeit an der Doktorarbeit zugute. So legte ich mir zum Beispiel das Schreiben an der Doktorarbeit ausschließlich auf die Wochenenden, weil ich nach Beendigung meiner regulären Arbeitszeit am späten Nachmittag nicht mehr konzentriert war. Weniger konzentrationslastige Tätigkeiten erledigte ich dagegen unter der Woche.
Auch unser ausgeklügelter Zeitplan und unsere Arbeitsteilung erleichterten die Umsetzung und das Vorankommen ungemein.
Rund zwei Jahre nach Beendigung des TEP reichten wir die Arbeit ein.
Vor der anstehenden Disputation hatte ich zwar immer noch großen Respekt, aber keinen fürchterlichen Bammel mehr. Allerdings war ich bis heute nie wieder innerlich so nervös wie an diesem Tag. Und so erleichtert. Zusammengefasst war es wohl die schnellste Stunde meines Lebens.
Dennoch ganz ehrlich: Am Ende war ich sehr, sehr, sehr froh, dass alles vorbei war.
Herzliche Grüße
Sandra
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