Mein Geographenherz hüpft:
Weil ich mal wieder Lust drauf hatte, arbeite ich seit Mitte Juni über die Sommermonate als Reisebegleitung auf einigen Reisen eines Reiseveranstalters.
Dieses Mal geht es ausschließlich nach Holland, und zwar zur Internationalen Gartenbauausstellung Floriade Expo 2022. Abgerundet werden die Reisen mit dem Besuch historischer Orte wie zum Beispiel dem Weltkulturerbe Schokland oder der Stadt Zwolle.
Während ich diese Zeilen schreibe, warte ich auf die Gäste einer neuen Tour, denn heute ich Wechseltag.
Lies hier über meine Motivation für die Reisebegleitung, warum jährlich 1,4 Millionen Besucher nach Giethoorn reisen und was mit dem Ausstellungsgelände nach der Floriade passiert (Spoiler: Auch hier hüpft mein Geografenherz).
Für den Veranstalter habe ich bereits in 2016 Touren durch Skandinavien begleitet. Damals las ich im Internet eine Anzeige Reisebegleiter zum Nordkap gesucht und dachte: „Da hätte ich mal Lust drauf.“
Als Geographin reise ich für mein Leben gerne.
Von der Reisebegleitung versprach ich mir neue Eindrücke, neues Wissen für mich und die Gäste sowie die Umsetzung meiner Exkursionserfahrungen aus dem Studium.
Gesagt, getan.
Danach folgten aufgrund anderer Verpflichtungen ein paar Jahre Pause, bis mich Anfang dieses Jahres wieder die Lust packte.
Meine wichtigste Aufgabe als Reisebeleitung ist die Betreuung der Gäste.
Diese haben eine klassische Busreise gebucht und kommen in großer Zahl, um eine schöne Kurzreise in den Niederlanden zu erleben. Aktuell habe ich keinen Reisebus unter 50 Leute (inklusive dem Fahrer und mir). Die Zielgruppe des Veranstalters sind Rentner, sodass ich auf jeden Fall auf verschiedene Bedürfnisse wie zum Beispiel Gehschwächen Rücksicht nehmen muss.
Da ich immer vor der Gruppe anreise beziehungsweise mehrere Wochen am Stück im Hotel verweile und auf die neuen Gruppen warte, erkundige ich das Hotel und die Umgebung vorab immer ausgiebig, um die Gäste bestmöglich zu informieren.
Zusammen mit meinem Busfahrer sorge ich dann während der Reise dafür, dass alle Gäste pünktlich an den Zielen ankommen, ihre Eintrittskarten erhalten und im Hotel eingecheckt werden. Zusätzlich gebe ich unterwegs Informationen zur Landschaft und den Orten, die wir besichtigen. Der Verlauf während der 4-tägigen Reise ist vorgegeben, allerdings kann ich schon ein wenig im zeitlichen Ablauf variieren.
Äußern die Gäste Wünsche oder Beschwerden, ist es meine Aufgabe, diese weiterzugeben, die Gäste aufzufangen, Alternativen anzubieten und gegebenenfalls zu beschwichtigen. Denn ich bin die Kontaktstelle zwischen Veranstalter und Hotel.
Treffe ich unterwegs oder im Hotel auf Reisebegleiterkollegen, so tauschen wir uns über unsere Touren aus und versorgen uns gegenseitig mit Infos und Tipps.
Ich kann es nicht anders sagen:
Der Veranstalter hat eine wirklich schöne Tour nach dem Motto Eine Reise in die Vergangenheit mit einem Blick in die Zukunft zusammengestellt, bei der wir folgende Orte besichtigen:
Die Internationale Gartenbauausstellung Floriade Expo 2022 ist für die Gäste der Hauptgrund der Reise. Hier verweilen sie auch am längsten und können eigenständig das Gelände erkunden.
Auf 60 Hektar stellen internationale und nationale Teilnehmer ihre Ideen und Lösungsansätze für eine grünere, lebenswerte und attraktive Stadtentwicklung, Architektur und Landwirtschaft vor. Die Floriade ist nämlich nicht wie von vielen angenommen eine reine Blumenausstellung, sondern möchte unter dem Motto Growing Green Cities auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit und deren Herausforderungen in Städten für die Zukunft hinweisen.
Mein absoluter Geheimtipp:
Die virtuelle Ballonfahrt im Gebäude der Provinz Flevoland.
Ein Muss:
Die Seilbahnfahrt über das Gelände. Die Seilbahn wird nach der Expo abgebaut und auf der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim wieder eingesetzt.
Danach geht es entlang des Oostvaadersdijks beziehungsweise des Maarkermeers nach Lelystad, der Hauptstadt der Provinz Flevoland. Die gesamte Provinz ist erst im letzten Jahrhundert im Rahmen der Zuiderzeewerke durch unter anderem dem Bau von Poldern entstanden.
In Lelystad wartet am Bataviastrand die 26 Meter hohe Exposure Statue von Antony Gormley auf unseren Besuch.
Das Städtchen Giethoorn mit rund 2.700 Einwohnern liegt in der Provinz Overijssel. Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gab es in Giethoorn große Überschwemmungen, die um den Ort Seen entstehen ließen. Da in dem Gebiet Torf und Schilf abgebaut wurde, legten die Bewohner Gräben und Kanäle zum Transport an. Daher liegt der Ort heute an einem acht Kilometer langen Kanal, von dem viele Grachten abzweigen. Der alte Ortskern liegt komplett im Wasser, die einzelnen Grundstücke reihen sich in Form kleiner Inseln aneinander und sind nur über Boote oder Brücken zu erreichen. Der Autoverkehr war und bleibt ausgelagert.
Die Häuser sind noch original erhalten oder dürfen bei Beschädigung beziehungsweise Einsturz nur als Replikate wieder errichtet werden. Die Grundstücke sind wunderbar gepflegt und bepflanzt, was dem Dorf eine malerische und idyllische Atmosphäre verleiht.
Das finden nicht nur die Einwohner, sondern auch etwa 1,4 Millionen Touristen jedes Jahr. Die meisten von ihnen machen dann wie wir eine Bootstour durch das Dorf und genießen die Stille. Und ja, es ist wirklich still, denn die Boote fahren mit Elektromotor.
Die Provinzhauptstadt hat es geschafft, ihren historischen Charme zu erhalten und sich doch gleichzeitig modern und aufgeschlossen zu präsentieren. Bestes Beispiel ist das Museum de Fundatie mit seinem ovalen Dachausbau, der schon von Weitem silbern glitzert. Hier starten wir unsere Stadttour, die uns als Erstes zur Tourismusinfo führt. Dort können sich die Gäste mit Stadtplänen bewappnen, um die Stadt anschließend auf eigene Faust zu erkunden.
Sehenswert sind vor allem die Grote Kerk mit einer Schnitger-Orgel, die aktuell aufgrund von Renovierungsarbeiten an der Kirche leider eingerüstet ist, den Peperbusturm, der mit seinen 75 Metern seit dem 14. Jahrhundert Wahrzeichen der Stadt ist und das 600 Jahre alte Stadttor, das auch als Standesamt dient. Auf keinen Fall sollte man einen Besuch des Buchladens Waanders in de broeren auslassen, der in einer Kirche eingerichtet ist.
Ich bin ja ein großer Fan von Weltkulturerbestätten. Daher freut mich unser kurzer Fotostopp in Schokland besonders, obwohl es außer flachem Land nicht viel zusehen gibt (der Besuch im Museum ist nicht vorgesehen).
Das Interessante an Schokland sind die Nachweise von ersten Bewohnern um 4.900 v. Chr. und Ansiedlungen mit Viehzucht und Ackerbau ab 1.000 n. Chr. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Schokland bewohnt, allerdings wandelte sich die Landschaft durch Versumpfung und Überflutung in eine Insel.
Im Rahmen der Zuderzeewerke mit der Trockenlegung der Provinz ist Schokland seit 80 Jahren wieder Festland.
Auch das Fischerdorf Urk am Ijsselmeer war mal eine Insel, was sich gut an der sehr dichten Hausbebauung und den schmalen Straßen erkennen lässt. Die Fischerei und die Schiffswerft haben heute noch eine große Bedeutung für den Ort.
Wir laufen immer gemeinsam zum Leuchtturm, in dessen unmittelbarer Nähe auch dem Ommelebommelestein ein Denkmal gesetzt ist. In Urk bringt nämlich nicht der Storch die Kinder, sondern eben besagter Stein, der 30 Meter von der Küste im Meer liegt.
Die Arbeit macht Spaß, der Lerneffekt ist hoch und den Gästen gefallen die Sehenswürdigkeiten.
Bisweilen ist es jedoch auch ganz schön anstrengend, da brauche ich nix schönzureden.
Rund 50 Gäste zu koordinieren ist schon eine herausfordernde Aufgabe, vor allem wenn es um die Mitteilung von Zeiten und wichtigen Informationen geht. Trotz mehrmaliger Wiederholungen mit Mikrofon erkläre ich gefühlt noch einmal jedem Gast einzeln, wann und wo wir uns zum Beispiel wiedertreffen.
Auch sind die älteren Gäste schnell meckerig, wenn etwas von einem vermeintlich gewohnten Schema abweicht. So kann fehlende Marmelade beim Frühstück schon mal zum Beschwerdegrund werden. Ein Gast hat mich mal gerügt, ich hätte erwähnen müssen, dass der Lichtschalter für das Bad außerhalb des Bades angebracht ist.
Trotzdem gefällt mir diese Auszeit vom wissenschaftlichen Arbeiten und ich freue mich über die vielen rüstigen Gäste, die noch Freude am Reisen haben.
Herzliche Grüße
Sandra
Lies über meine Zeiten im Coworking/Coliving auf Malta, Teneriffa, Sardinien und Wien.