Kürzlich fragte mich ein Studierender, ob man denn die geführten Interviews auch abtippen müsse.
Meine Gegenfrage:
Wie willst du sonst die Ergebnisse für die Problemstellung deiner wissenschaftlichen Arbeit herausarbeiten und zitieren?
Die Transkription von Interviews ist daher der nächste Schritt, nachdem du deine Interviews geführt hast. Dabei werden die Aufzeichnungen für die Analyse verschriftlicht. Nur so kannst du später die Aussagen aus den Transkripten in deiner Arbeit zitieren.
Das Wort Transkript leitet sich von den lateinischen Wörtern transcriptio und transcribere ab, was Übertragung beziehungsweise um- oder überschreiben bedeutet. Damit ist die Verschriftlichung von Gesprächen beziehungsweise Kommunikation (dazu gehört je nach Forschung auch die nonverbale Kommunikation) von Tonband- und Videoaufnahmen gemeint.
Jetzt denkst du vielleicht:
Mal eben das Gesagte abtippen, wo ist das Problem?
Das „Problem“ ist, dass du auch bei der Transkription von Interviews je nach Forschungskontext und Methode vorab Kriterien festlegen musst, nach denen du transkribierst. Das erleichtert dir auch nach dem x-ten Interview den Überblick und die nachfolgende Datenanalyse.
Worauf du bei der Transkription von Interviews im Vorfeld unbedingt achten solltest, hab ich dir nachfolgend zusammengestellt.
Vorweg verrate ich dir wahrscheinlich kein Geheimnis:
Transkribieren kostet dich sehr viel Zeit.
Gehe davon aus, dass du etwa das 5- bis 10-fache der Interviewdauer als Transkriptionszeit benötigst.
Die Transkription eines 30-minütigen Interviews kann folglich zweieinhalb bis fünf Stunden dauern. Das gilt für gut aufgenommene Einzelinterviews, bei mittleren Tippfähigkeiten, einfachen Regeln für die Verschriftung und einem Korrekturlesen am Ende.
Je mehr Erfahrung du hast, umso versierter und schneller wirst du werden, doch am Anfang wird es etwas dauern, bis du Übung im Transkribieren hast.
Für viele ist Zeit DAS Argument, erst gar keine Interviews zu führen oder die Transkription auszulagern. Daher ist es wichtig, dass du dir im Vorfeld gut überlegst, welche Anforderungen dein Transkript erfüllen muss.
Plane zudem ausreichend Zeit für deine Transkriptionen ein. Am besten wechselst du zwischen Interview und Transkription beziehungsweise transkribierst du das jeweilige Interview direkt nach der Durchführung. Dann ist dir der Inhalt noch frisch präsent im Kopf.
Hier hast du drei Möglichkeiten:
Dazu rate ich dir auch – denn es ist deine eigene Arbeit, es ist deine eigene Forschung, es ist deine eigene Analyse.
Und es ist deine eigene kritische Auseinandersetzung mit dem Text und dem Textverständnis, das sich erst in einer intensiven Wiederholung entfaltet. Bereits während der Transkription wirst du erste Ideen entwickeln, wie du die Ergebnisse in die Arbeit einarbeitest und wie du sie argumentierst. Gibst du deine Interviews aus der Hand, hast du mehr Zeit, aber es leidet dein eigenes Textverständnis.
Mit einem gängigen Schreibprogramm und einer einfachen Software beziehungsweise einem Gerät zum Abspielen und Rückspulen der Aufnahmen bist du bestens gerüstet.
Professionelle Transkribierer sind natürlich um einiges schneller als du selbst. Da sie die Interviews aber nicht miterlebt haben, können sie nicht „zwischen den Zeilen“ lesen beziehungsweise tippen.
Die Transkripte solltest du auf jeden Fall noch einmal nachkontrollieren. Zusätzlich musst du die Kosten für diese Dienstleistung einkalkulieren.
Eine Transkriptionssoftware erstellt dir automatisch ein Transkript oder erleichtert dir das manuelle Abtippen.
Bist du mit der Software nicht vertraut, wirst du einiges an Zeit für die Einarbeitung in die Software aufbringen müssen. Damit sparst du nicht wirklich an Zeit und bei wenigen Interviews lohnt sich der Aufwand meiner Meinung nach nicht. Da auch die Software fehleranfällig ist, kommst du um eine Kontrolle nicht herum.
Ich persönlich hätte mir niemals vorstellen können, meine Interviews aus der Hand zu geben. Auch wenn ich das Abtippen manchmal verflucht habe und an manchen Tagen überhaupt keine Lust mehr darauf hatte. Zusammen mit meinen Notizen hat mir die Transkription jedoch geholfen, meine Gedanken für die Analyse zu schärfen. So manche Aussage verwandelte sich bereits vor meinem geistigen Auge in eine textliche Ergebnisdarstellung.
Für die spätere Analyse zeichnest du die Interviews mit einem Aufnahmegerät auf. Heutzutage ist es in der Regel ein digitales. Ich habe meine Experteninterviews noch mit einem analogen Stenogerät inklusive Kassetten aufgenommen, die nach 30 Minuten gewechselt werden mussten.
Falls du oder jemand aus deinem Umfeld nicht bereits über ein Aufnahmegerät verfügt, dann hast du zwei Möglichkeiten:
Eine Ausleihe ist an vielen Unis und Hochschulen möglich, gerade in Fächern, in denen qualitativ geforscht wird. Wende dich an deine Fachschaft, deine Tutoren oder an die technische Abteilung. Ein Nachteil kann allerdings sein, dass du die Geräte nur für eine kurze Zeit und nicht über einen längeren Zeitraum ausleihen kannst oder sie bereits ausgeliehen sind, wenn du sie benötigst.
Ein Kauf ist zumindest eine Überlegung wert. Gute Geräte bekannter Marken gibt es für ca. 50 bis 100 Euro bei den großen Technikhandelsketten. Alternativ kannst du auch schauen, ob du auf Verkaufsplattformen ein Schnäppchen machst.
Da du viele Stunden mit deinem Datenmaterial verbringen wirst, achte auf eine klare und gute Aufnahmequalität. Leichtes Knistern oder Fiepen ist beim kurzen Reinhören nicht störend, raubt dir aber spätestens nach der ersten Transkription den letzten Nerv.
Auf die Aufnahme mit einem Smartphone solltest du aus datenschutzrechtlichen Gründen verzichten, da die Daten auf dem Gerät nicht sicher gespeichert sind. Eine Aufnahme per Smartphone ist höchstens als Notlösung denkbar, wenn zum Beispiel plötzlich dein Aufnahmegerät streikt.
Je nach Forschungskontext und Methode kannst du selbst entscheiden, wie du dein Transkript gestalten möchtest. Generell wird zwischen einfachen und detaillierten Transkripten beziehungsweise Transkriptionsregeln unterschieden. Die gängigsten Transkriptionsregeln sind von Dresing & Pehl.
Einige grundlegende Transkriptionsregeln solltest du jedoch immer beachten:
In einfachen Transkripten beziehungsweise bei einfachen Transkriptionsregeln wird das Gesagte wörtlich transkribiert, es finden sich meist wenig nonverbale Angaben. Der Text ist dann in Umgangssprache und Dialekt geglättet. Priorität hat der semantische Inhalt des Gesprächs mit Fokus auf guter Lesbarkeit. Da es zum Beispiel bei Experteninterviews im Allgemeinen auf den Inhalt und Sinn des Gespräches ankommt, werden einfache Transkriptionsregeln dafür ausreichend sein.
Ein detailliertes Transkript nach umfangreicheren Transkriptionsregeln ist dann nötig, wenn für die Analyse nicht nur der semantische Inhalt eines Gesprächs betrachtet wird. Es wird dann beispielsweise genauer auf die lautlichen Eigenschaften des Gesagten eingegangen, also auf die Tonhöhenverläufe, Nebenakzente, Lautstärke oder Sprechgeschwindigkeit. In der Dialektforschung wird zum Teil Lautschrift genutzt oder es werden Zeichen für verschiedenste nicht sprachliche Phänomene verwendet.
Unabhängig davon, welche Transkriptionsregeln du anwendest, mache dir zum obersten Gebot, ein Interview immer vollständig zu transkribieren. Also alles, was gesagt wurde. Ein bloßes Abhören oder Zusammenfassen des Gesagten ist keine Transkription, sondern eine methodisch nicht kontrollierte Reduktion von Informationen.
Erläutere in der Arbeit, welche Transkriptionsregeln du anwendest beziehungsweise nach welchen Regeln oder Autor du transkribierst. Füge, wenn nötig, eine Legende bei.
Ich wünsche dir viel Freude und gutes Gelingen bei der Transkription deiner Interviews!
Herzliche Grüße
Sandra