Am 21.03.2006 setzte ich mich in ein Flugzeug und machte das, was ich bis heute für eine der besten und tollsten Ideen meines bisherigen Lebens halte:
Ich leitete zusammen mit meinem Kollegen Thorsten unser selbst konzipiertes Tsunami Education Project (TEP) für ein Jahr in Sri Lanka.
Ich berichte immer noch gerne und ausführlich über das TEP – insbesondere, weil ich es für ein rundum gelungenes und erfolgreiches Konzept halte. Hier ist die Geschichte hinter dem Projekt.
Meinen besten Freund und Studienkollegen Thorsten ließ der Tsunami an Weihnachten 2004 nicht los.
Direkt nach dem Studium bewarb er sich deshalb als ASA-Stipendiat für ein Tsunami-Hilfsprojekt in Sri Lanka, welches ihn an die Ostküste nach Thirukkovil brachte. Eigentlich für ein ganz anderes Projektziel eingesetzt, stieß er dort mit seinen Kollegen schnell auf zwei Phänomene im Alltag der sri lankanischen Bevölkerung:
Zudem hörten sie unzählige Verschwörungstheorien (zum Beispiel, dass der Tsunami durch eine Atombombe der Amerikaner entstanden wäre), die zu einer nicht enden vollenden Gerüchteverbreitung über einen drohenden neuen Tsunami führten.
Überall spürten sie die Furcht und Unwissenheit der Bevölkerung.
„Du bist doch Geograf, du kannst das doch erklären.“
So wurde Thorsten von seinen Teamkollegen aufgefordert, die Bevölkerung über die Ursache und Entstehung von Tsunamis aufzuklären.
Gesagt, getan.
Sie fragten bei einem kleinen Gemeindezentrum an und hielten mit selbstgemalten Plakaten einen sehr anschaulichen Vortrag. Und stießen umgehend auf offene Ohren und Arme – das Tsunami Education Project war geboren.
Schnell kamen sie mit begrenzten Mittel an ihre Grenzen, sodass die Idee einer professionelleren Umsetzung in Ausstattung und Durchführung inklusive der Akquise von Fördermöglichkeiten immer lauter wurde.
Zu der Zeit bekam ich einen Anruf: „Wir brauchen eine zweite Geografin. Willst du dabei sein?“
Klar wollte ich!
Und so konzipierten wir das TEP weiter aus, warben Fördergelder über HELP – Hilfe zur Selbsthilfe e. V. ein und bereiteten uns auf die Durchführung vor.
Unser Ziel war es, mithilfe von Workshops eine wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung von Erdbeben und Tsunamis, insbesondere dem Tsunami vom 26.12.2004, zu liefern.
Als Hauptzielgruppe legten wir die Lehrer der von dem Tsunami betroffenen Schulen an der Küste fest. Ihre Teilnahme an unserem Workshop sollte sie befähigen, das neu erlangte Wissen in ihren Unterricht einzubinden.
Aufgrund fehlender Kenntnisse über das Thema und aus Mangel an Unterrichtsmaterialien konnten die Lehrer in Sri Lanka nämlich nicht zu einer Aufklärung beitragen, obwohl dies von der Regierung angeordnet wurde.
So wollten wir gezielt die staatlichen Bildungsbehörden für einen Zugang zu den Schulen nutzen, um die Lehrer in ihrer Funktion als Multiplikatoren fortzubilden.
Was in der Theorie erst mal logisch und einfach klang, forderte in der Praxis einiges an Überlegungen, die man in Deutschland bei einem gleichen Projekt kaum beziehungsweise gar nicht berücksichtigen muss:
Wir konzipierten einen aktiven Workshop mit vielen Gegenständen zum Anschauen und Anfassen (wie rote Knete für Magma, ein Puzzle zum Verdeutlichen der Plattenbewegungen oder eine Wasserschüssel zur Erklärung von unterschiedlichen Wellen) und entschieden uns bewusst gegen jeden technischen Schnickschnack wie zum Beispiel eine PowerPoint.
Zum einen, weil die eingesetzten Materialien als Erdkundeset an die Schulen verteilt werden sollten und unser Workshop damit eine Form der methodischen Umsetzung anbot.
Und zum anderen, weil die Schulen oder Lehrer selbst über kein technisches Equipment verfügten, um ihren Schülern eine PowerPoint zu zeigen. Von den vielen Stromausfällen im Land ganz zu schweigen.
Die Ausstattung der Schulen mit Büchern, Klassenmobiliar und anderen Unterrichtsmaterialien variierte stark nach Region und Beschädigung durch den Tsunami, war jedoch insgesamt spärlich.
Mit unseren Erdkundesets wollten wir einen Beitrag zur Schulausstattung leisten und sichergehen, dass die Lehrer den Workshopinhalt später auch an ihre Schüler weitergeben konnten. Das Erdkundeset enthielt fünf große Wandkarten mit Schaubildern, einen Globus, ein Tektonikpuzzle, diverse Handouts und Informationshefte.
Alle im Workshop eingesetzten Materialien ließen wir in Sri Lanka übersetzen, produzieren und/oder vervielfältigen.
Nur weil Englisch in Sri Lanka die dritte Amtssprache ist, heißt es noch lange nicht, dass sie jeder (gut) spricht und versteht.
Zur Überwindung von Sprachbarrieren und Hemmungen wollten wir einheimische Mitarbeiter ausbilden. Unsere Mitarbeiter sollten die Workshops erst zusammen mit uns als Übersetzer und nach der Einarbeitung eigenständig in ihrer jeweiligen Muttersprache Sinhala oder Tamil durchführen.
Dazu fragten wir an Universitäten gezielt nach Absolventen der Geografie oder Geologie. Das funktionierte hervorragend.
Um allen ethnischen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden, ließen wir unsere Materialien ausnahmslos in die drei Amtssprachen Sinhala, Tamil und Englisch übersetzen. Kein Teilnehmer sollte sich benachteiligt fühlen.
Zudem waren wir uns bewusst, dass eine wissenschaftliche Erklärung durchaus mit einigen religiösen Ansichten zum Erdaufbau und der Menschheitsgeschichte konträr geht. Fragen dazu wurden mit größtmöglicher Sensibilität offen diskutiert.
Unsere Projektbasis war in Anbindung an das örtliche HELP Büro die Stadt Trincomalee im Nordosten. Von dort aus starteten wir im März 2006 die Kontaktaufnahme zu diversen Bildungsbehörden und Einrichtungen, suchten uns eine dauerhafte Unterkunft und einen Übersetzer für unsere Unterrichtsmaterialien.
Alles lief zufriedenstellend an, wir waren guter Dinge.
Dann kam ein verlängertes Feiertagswochenende, das wir zu einem Besuch einer Freundin im Hochland nutzten.
Von dem Besuch sind wir nicht mehr nach Trincomalee zurückgekehrt.
Der wiederaufkommende Bürgerkrieg machte uns einen Strich durch die Planung. Er startete in Trincomalee mit der Erschießung eines Politikers, Bombenanschläge und Schießereien waren danach an der Tagesordnung.
Trincomalee wurde schließlich „komplett dichtgemacht“, wir durften nicht zurück.
Das TEP stand vor dem richtigen Beginn schon vor dem Aus, aber mithilfe von HELP und dem Willen, an der vermeintlich sicheren Südwestküste noch mal anzufangen, ging es weiter.
Also zogen wir nach Ambalangoda, starteten erneut die Kontaktaufnahme zu Bildungsbehörden und Einrichtungen und planten um, bevor wir Ende Mai schließlich unsere ersten Workshops halten konnten.
Erst ein halbes Jahr später kehrten wir nach Ampara an die Ostküste zurück.
„Endlich kommt jemand und erklärt uns, was passiert ist.“
„Vielen Dank, jetzt habe ich keine Angst mehr vor einem neuen Tsunami.“
„Warum seid ihr nicht früher gekommen?“
Gibt es schönere Komplimente für deine Arbeit?
Für mich nicht.
Das Tsunami Education Project leistete einen unglaublich großen Beitrag zu der geografischen Schulausbildung in Sri Lanka. Viele Lehrer erfuhren überhaupt erst in unseren Workshops von einer wissenschaftlichen Erklärung für den Tsunami.
Mit unserem Mitarbeiterteam schulten wir in einem knappen Jahr insgesamt 3.956 Teilnehmer in 148 Workshops und verteilten 357 Erdkundesets an die Schulen.
Die Einbindung unserer einheimischen Mitarbeiter funktionierte hervorragend. Ohne sie hätten wir das TEP nicht annähernd so erfolgreich umsetzen können.
Durch ihren Einsatz bekamen die Teilnehmer Verständnissicherheit durch ihre Muttersprache, trauten sich häufiger nachzufragen und machten allgemein viel aktiver mit.
Für unsere Mitarbeiter war es ebenfalls ein Gewinn, denn sie konnten ihre Studieninhalte anwenden, erlangten Praxiserfahrung und verdienten ihr erstes Geld. Ihr Einsatz verschaffte uns zudem mehr Zeit für die vielfältigen administrativen Aufgaben.
Nach Projektende im März 2007 haben wir das Tsunami Education Project als Praxisbeispiel in den Kontext der deutschen Katastrophenvorsorge gesetzt, um es in einer Teamdissertation* wissenschaftlich aufzuarbeiten.
(Wie wir zu der externen Promotion kamen, liest du hier.)
Neben der Projektkonzeption dienten uns 2.215 Teilnehmerfragebögen (Lernzielkontrolle), die Befragung von 32 Schulleitern und Lehrern (zur Verwendung der Erdkundesets) sowie 32 leitfadengestützte Expertengespräche mit staatlichen und nicht staatlichen humanitären und entwicklungspolitischen Akteuren in Sri Lanka und Deutschland als Datengrundlage.
Knapp zwei Jahre nach unserer Rückkehr wurden wir an der Ruhr-Universität Bochum am 03.07.2009 in Geografie promoviert.
Das Tsunami Education Project hat mich nachhaltig geprägt, auch wenn ich bereits vorher viel im Ausland unterwegs war bzw. gearbeitet habe. Meine Sichtweise auf Kultur, Ethnien, Religion(en), Bürgerkrieg, ausländische sowie inländische Bürokratie, Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen und Speziellen, und nicht zuletzt auf mich und meine Heimat wurde zum Teil massiv durcheinander gerüttelt.
Wir haben das Projekt unter großen Anstrengungen, skurrilsten Bedingungen, in Gefahr und immer mit einem lachenden und weinenden Auge durchgeführt.
Ich bin unendlich dankbar für das TEP und alle Projekterfahrungen.
Den TEP Workshop in Bildern kannst du dir übrigens als PDF ansehen und runterladen: TEP Workshop in Bildern
Du hast Fragen zum TEP?
Die beantworte ich dir sehr gerne! Kontaktiere mich unverbindlich.
Herzliche Grüße
Sandra
*Der sperrige Titel:
Den Tsunami verstehen - Die Bedeutung geographischer Bildungsarbeit als Teil katastrophenpräventiver Maßnahmen am Beispiel des Tsunami Education Project (TEP) in Sri Lanka nach dem Tsunami 2004 im Indischen Ozean
Alle Fotos: Dr. Thorsten Klose-Zuber